Diese Frage wird im Recruiting häufig gestellt. Ich finde den weit verbreiteten Ansatz, die finale Entscheidung über eine Einstellung nach dem Bewerbungsgespräch der Personalabteilung zu überlassen, sehr spannend. Aber ich bin anderer Meinung.
Hinweis: dieser Blogbeitrag erschien erstmalig im März 2016 und wurde 2023 überarbeitet.
Stefan Scheller und seine Ansichten, zum Beispiel, schätze ich sehr. Er nennt sich „Persoblogger“ und ich habe auch schon mehrfach auf seine Beiträge verlinkt. Ich finde es toll, dass anhand seiner HR Blogs immer mal dazu angeregt wird, die eigenen Meinungen oder Ansichten zu hinterfragen. Außerdem mag ich es besonders, wenn sich – auch über Ländergrenzen hinweg – eine „Diskussion“ zu den Themen ergibt. Manchmal reicht mir dann ein Kommentar und manchmal schreibe ich eine Darstellung von meiner Sicht der Dinge. Stefan hat mich, nett wie er ist, vor einiger Zeit schon eingeladen, meinen Ansatz zum Thema „Einstellung nach Bewerbungsgespräch“ darzulegen. Und das mache ich natürlich gerne.
Meine Sicht der Dinge
Ich stimme auch bei diesem Thema in vielen Dingen mit Stefan überein. Habe beim Lesen seines Beitrags „Wer entscheidet über die Einstellung nach dem Bewerbungsgespräch?“ oft mit dem Kopf genickt. Ein paar Feinheiten handhabe ich in meiner Recruitingpraxis (da werde ich jetzt gerade ein wenig sentimental, die Stammleserinnen wissen, warum) anders. Die ABC Stapel zum Beispiel versuche ich zu vermeiden, wenn es um die Entscheidung geht: „Wer erhält nach dem Bewerbungsgespräch tatsächlich die Zusage für eine Einstellung?“ Das heißt nicht, dass die eine oder andere Variante besser oder schlechter ist, sondern eben anders.
Leider erlebe ich es auch sehr oft, dass sowohl Recruiter:innen als auch die Führungskräfte oder in den Recruitingprozess involvierte Mitarbeiter:innen nicht adäquat ausgebildet sind. Kenntnisse in Gesprächsführung und Arbeitsrecht sind das absolute Mindestmaß, das jede in ein Bewerbungsgespräch involvierte Person aufweisen sollte. Von den Bewerber:innen abgesehen natürlich ;-). Eine praktische Übersicht über wesentliche Arbeitsrechts-Aspekte im Zuge von Stellenbesetzungen findest du in meinem Blogbeitrag „Darf ich Bewerber:innen googlen?“, der Anfang 2023 erschienen ist.
Eine „Rollenverteilung“ im Gespräch halte ich auch für zielführend. Üblicherweise erscheinen jedoch die Bewerber:innen früher oder zeitgleich mit den Mitarbeiter:innen / Führungskräften und das Verständnis, warum vorab noch Zeit in ein Briefing investiert werden sollte, hält sich in Grenzen. Genauso wie das Verständnis, dass ein zielführendes und vor allem für die Führungskräfte „ergebnisorientiertes“ Recruiting ohne die Beteiligung der Fachabteilung nicht (mehr) möglich ist, stößt auch innerhalb von HR nicht nur auf Zustimmung. Findest du, dass Führungskräfte keine Ahnunung von Recruiting haben? Dann lies dazu gerne den verlinkten Blogbeitrag von mir!
Warum ich mich gegen HR ausspreche
Zurück zum Thema. Warum meine ich, dass es nicht besser ist, HR die finale Entscheidung über Einstellungen nach dem Bewerbungsgespräch zu überlassen?
Für mich geht es um Verantwortung. Um es deutlich zu machen: Der Job als Führungskraft beinhaltet es, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Natürlich muss ich auch als Recruiterin Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen, aber für andere Themen. Und ja, ich sehe HR absolut in der Rolle als Dienstleister. Allerdings nicht nur an der Zufriedenheit der internen Kunden interessiert. Im Sinne von Augenhöhe die Zufriedenheit der potenziellen internen Kunden genauso dazu. Das könnte jetzt natürlich auch als Argument für die Entscheidungsgewalt (ein schreckliches Wort, oder?) von HR verstanden werden ;-).
Und ja, der unternehmerische Weitblick mag eher für die Entscheidungsbefugnis (auch nicht viel besser ;-)) von HR sprechen. In einem Unternehmen, in dem die Unternehmenskultur aber nicht nur auf ein gutes Standing der eigenen Abteilung abzielt, sollten internes Standing und Durchsetzungsstärke nur eine untergeordnete Rolle spielen. Entscheidungen sollten vielmehr in Hinblick auf positive Auswirkungen für das gesamte Unternehmen getroffen werden. Die Praxis freilich, da sollten wir uns nichts vormachen, sieht häufig anders aus. Und genau da könnte HR vielleicht auch ansetzen um durch das Verhalten in Zusammenhang mit Einstellungs-Entscheidungen Einfluss zu nehmen auf die Kultur im gesamten Unternehmen.
Natürlich, der Anspruch an HR ist es zunehmend, einen Talentpool, eine andidate Pipe, oder wie immer man es nennt, aufzubauen. Das ist trotzdem noch keine Erlaubnis, diese sehr zentrale Entscheidung eigenständig treffen zu dürfen.
Recruiting hat aus meiner Sicht die Verantwortung,
- die Führungskraft bei der Frage nach „wen suchen wir eigentlich“ anzuleiten, um das Stellenprofil zu schärfen
- die richtigen Mitarbeiter:innen zu finden
- den Recruitingprozess so zu gestalten, dass es für alle Beteiligten möglichst effizient und effektiv ist
- alle internen Beteiligten zur Teilnahme an den Gesprächen zu befähigen
- für das Bewerbungsmanagement
- für die Vertragsgestaltung.
Die Verantwortung, wer aufgrund der Fachkompetenz und der Persönlichkeit ins Team geholt wird, liegt meiner Meinung nach noch immer bei der Führungskraft.
Geballtes Wissen für deinen Erfolg
Kennst du eigentlich schon das Buch „Playbook Recruiting“, das ich gemeinsam mit einem, ebenfalls sehr erfahrenen HR-Spezialisten, Herwig Kummer, verfasst habe? Es beleuchtet mögliche innere Haltungen und die generelle Rollenverteilung im Recruiting ganz genau. Dazu viele weitere konkrete Informationen und Hilfestellungen für dich und deinen Erfolg – einerseits in deiner Rolle als Recruiter:in – und andererseits im internen Zusammenspiel (verdient es manchmal vielleicht sogar die Bezeichnung „Kräftemessen“?) zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen …
Was ich als Teil der HR Arbeit ansehe, das ist das Vorhandensein bzw. das gemeinsame Erarbeiten der entsprechenden Kompetenz für eine solche Entscheidung seitens der Führungskraft. Sie muss die Fähigkeit besitzen, nach einem ersten Kennenlernen im Bewerbungsgespräch die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn dich das Thema interessiert, kannst du dazu mehr in meinem Blogbeitrag „Führungskräfte haben keine Ahnung von Recruiting“ und im YouTube-Video „Wie bindest du einfach Führungskräfte ins Recruiting ein“ erfahren.
Ich wurde schon oft, sowohl von Führungskräften in meiner Inhouse-Recruiting-Funktion, als auch als externe Beraterin gefragt: „Für wen würdest du dich entscheiden?“. Ich muss mich allerdings nicht entscheiden. Nur dann, wenn es um mein eigenes Team in meiner Rolle als Führungskraft geht. Ich darf die richtigen Fragen stellen, damit die Führungskräfte zu einer Entscheidung kommen können. Die Entscheidung für oder gegen eine Einstellung nach dem gemeinsam durchgeführten Bewerbungsgespräch ist eindeutig Führungsverantwortung. So sehe ich das. Und du?
Herzliche Grüße
Claudia
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