Qualifikation oder Kompetenz im HR? Teil 2

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Recruitingpraxis

Kompetenzen sind nur im Handlungskontext beobachtbar, können nur über Selbstauskünfte der Personen ermittelt werden und sich durch die Person selber oder durch Dritte verändern. Daraus folgt, dass eine objektive Kompetenzmessung eigentlich nicht denkbar ist.

Eine Möglichkeit zur Bestimmung der Kompetenzen für das Anforderungsprofil ist die Operationalisierung des Konstukts in Verhaltensindikatoren. Durch die Analyse von erfolgreichen Verhaltensmustern ist damit eine kompetenzbasierte Potenzialanalyse durchführbar. So endet Teil 1 des Blogbeitrages über das Praxisprojektes zum Thema „Qualifikation oder Kompetenz“. Heute folgt Teil 2, in dem es unter anderem um das Thema Online Assessment geht.

Kompetenzmodelle sind eine mögliche Alternative zu den traditionellen Anforderungsanalysen. Für den Begriff „Kompetenzmodell“ gibt es derzeit keine einheitliche Definition und Anwendung. So gibt es einerseits die Meinung, dass unter einem Kompetenzmodell oder die sogenannte Kompetenzmodellierung eine Kompetenzarchitektur verstanden wird, die sich bspw. in sehr allgemeine Kernkompetenzen, funktionale Kompetenzen für ähnliche Berufsgruppen und stellenspezifische Kompetenzen einteilen lässt. Andererseits fällt aber auch oft der Begriff „Kompetenzkatalog“, der letztendlich eine Zusammenfassung aller Kompetenzen beinhalten soll. Dieser Katalog lässt sich aufgrund der stetig nachfolgenden Ergänzungen nie wirklich schließen.

Daher entstanden Gliederungen in sog. Begriffstaxonomien (= Kompetenzmodelle). Abgesehen von den „echten“ Kompetenzmodellen, also Verfahren mit wissenschaftlicher Grundlagen und breiter Einsatzmöglichkeit, werden organisationsspezifische Kompetenzmodelle direkt im Unternehmen anhand eines Kompetenzkataloges zusammengestellt. Daraus ergibt sich das Dilemma, dass Kompetenzmodelle zwischen Generalisierung (zu allgemein) und Spezialisierung (zu engen Anwendungsbereich) stehen. Darüber hinaus gibt es trotz aller Kataloge und Listen „kein plausibles Reservoir an festgelegten Kompetenzen.
Dem entgegen steht der Vorteil, dass Kompetenzmodelle von konkreten Anforderungen in der Organisation ausgehen und der Bewerber nur mit den leistungsstarken Mitarbeitern verglichen wird, anstatt mit fiktiven Durchschnittspersonen, so wie es bei Intelligenz- und Persönlichkeitstests der Fall ist. Da Kompetenzen entwicklungsfähig sind, verringert sich die Bedeutung der sozialen Herkunft oder des Schulwissens. Die Akzeptanz der Bewerber steigt.

Unternehmen können auf kostenlose Datenbanken zurückgreifen, wie bspw. O*Net oder BERUFENET, die bereits berufliche Anforderungen anhand von Kompetenzen definiert haben. Oder sie verwenden eines der bekanntesten Kompetenzmodelle – den Kompetenzatlas, bei dem 64 Teilkompetenzen nach dem Schema von Erpenbeck und von Rosenstiel aufgeschlüsselt werden. Aus diesen könnte das Unternehmen z.B. 16 auswählen und diese als unternehmerisches Kompetenzmodell intern integrieren. Es soll dann zukünftig zur Kompetenzerfassung von Bewerbern oder Mitarbeitern dienen. Ähnlich könnte man auch für bestimmte Berufsgruppen oder Positionen verfahren.

Das Projekt „HR PROGRESS“ der FH Wien widmet sich der Erforschung sowie Entwicklung eines international anwendbaren HR-Kompetenzmodells. Es läuft noch bis 12/2016, ich bin schon höchst gespannt auf die Ergebnisse!

Eignungsdiagnostische Verfahren im Online Assessment Center

Im englischen Sprachgebrauch ist der Begriff Assessment gleichbedeutend mit Personalbeurteilung. Ein klassisches Assessment Center ist eine (vorwiegend) mehrtägige Veranstaltung, bei dem mehrere Bewerber unterschiedliche eignungsdiagnostische Verfahren durchlaufen und dabei durch Assessoren beobachtet und evaluiert werden. Eine Sonderform des Assessment ist das Einzel-Assessment, bei dem nur ein Bewerber teilnimmt, aber ebenfalls mehrere Verfahren durchgeführt werden. Aus zeitökonomischen Gründen werden hierfür oftmals computerunterstütze Tests eingeführt. Der entscheidende Interaktionsaspekt, dass die Assessees in Interaktionen miteinander in unterschiedlichen Situationen und Aufgaben beobachtet werden, entfällt. Diese Form des Assessments ist als Online AC oder auch E-Assessment bekannt und befindet sich in vielen Unternehmen auf dem Vormarsch. Die Assessoren werden dabei durch ein objektives psychologisch-diagnostisches Programm ersetzt. Während bei einem klassischen AC vorwiegend die Sozialkompetenz untersucht wird, wird das Online AC für drei Bereiche eingesetzt:

  • die Erfassung von Fähigkeiten (verbale, logische, etc.),
  • Wissen und
  • Persönlichkeit (Motive, Interessen, Eigenschaften, etc.).

Ein Online AC sollten idealerweise nach einer Vorauswahl eingesetzt werden. Im Gegensatz zum klassischen AC sind die Kosten für Durchführung und Auswertung um einiges geringer. Sie werden bei Bewerbern auch weniger stressend empfunden und sie ermöglichen eine schnelle Einsetzbarkeit sowie eine automatische Auswertung. Darüber hinaus lassen sich Gütekriterien wie Objektivität, Reliabilität und Validität messen. In Verbindung mit anderen Instrumenten (z.B. Interviews) ist sogar eine Steigerung der Validität erreichbar. Dem entgegen stehen auch ein paar Risiken, allen voran die Gewährleistung von Datensicherheit. Ebenfalls bedenken müssen Unternehmen, dass der Einsatz eines Online AC einen höheren Aufwand hinsichtlich Aufbau, Pflege und Administration bedarf. Ein weiterer Punkt im Bezug auf die Eignungsdiagnostik ist eine mögliche Verfälschbarkeit durch den Bewerber. Auch der persönliche Kontakt zum Bewerber wird reduziert und fördert somit eventuell nicht gerade die Arbeitgeberattraktivität.

Voraussetzung für den Einsatz eines AC ist das persönlichkeitsorientierte Anforderungsprofil mit den gewünschten Merkmalen bzw. Kompetenzen und eine ausführliche Stellenbeschreibung.
Erst dann ist das Unternehmen in der Lage die entsprechenden Instrumente auszuwählen. Die Auswahl erstreckt sich über Spielformen, Postkorb-Übungen in digitaler Form, Fragebögen (Persönlichkeit, Intelligenz) hin zu Paarvergleiche u.v.m. Aber auch Verhandlungssicherheit oder verschiedene Motivationsformen können diagnostiziert werden.

Testverfahren

 
In der Eignungsdiagnostik wird behauptet, dass eine „vollständige“ Diagnose nur durch den Einsatz mehrerer Verfahren durchgeführt werden kann. Dies nennt sich Multimodalität. Im Laufe der Zeit haben sich drei Modalitäten bzw. Verfahrenstypen für die Berufseignungsdiagnostik durchgesetzt (= trimodaler Ansatz):

  • biografieorientierte Verfahren,
  • eigenschafts- bzw. konstruktorientierte Verfahren,
  • simulationsorientierte Verfahren.

Bezogen auf E-Recruiting lassen sich nun die einzelnen Testarten den Verfahrensgruppen zuordnen. Im online-basierten biografieorientierten Verfahren werden personenbezogene biografische Daten erfasst. Das online-basierte konstruktorientierte Verfahren beinhaltet vorwiegend Persönlichkeits-, Motivations- und Interessenstests sowie Leistungstests zur Messung der Konzentration oder intellektuellen Fähigkeiten. Typisch für online-basierte simulationsorientierte Verfahren sind hingegen videobasierte Tests, Postkorbaufgaben oder Simulationen von komplexen betriebswirtschaftlichen Prozessen. Während die biografischen Daten hauptsächlich aus dem Lebenslauf erhoben werden, sind die zwei letzten Verfahrenstypen für die Online Anwendung besonders geeignet. Gerade die allgemeine Intelligenz gilt als Prädiktor mit der höchsten Validität für die zukünftige Arbeitsleistung. Im Gegensatz dazu hat der fachspezifische Wissenstest einen stärkeren Bezug zum Beruf. Bei den Persönlichkeitstests geht es um eine subjektive Einschätzung über die eigene Person (z.B. Persönlichkeitsskalen wie Big Five). Um ein konkretes Verhalten beurteilen zu können, sind Arbeitsproben im Multiple-Choice-Format eine gute Möglichkeit. Auch die klassischen Postkorbübungen sind in einem Online AC umsetzbar. Computerbasierte Postkorbaufgaben kommen besonders dann oft zum Einsatz, wenn der spätere Arbeitsalltag durch IT geprägt ist.

Die Kombination von verschiedenen Verfahren im Online AC erhöhen die Validität. Ein Persönlichkeitsfragebogen z.B. hat eine Validität von 30 Prozent. Kombiniert man diesen mit einem Leistungstest, so steigt sie auf 50 Prozent. Ein Test ist dann valide, wenn es einen positiven Zusammenhang zwischen Eignungsmerkmalen und Berufserfolg gibt. Ebenfalls bei Online-Tests zu beachten sind die Objektivität und Reliabilität, als auch die ethischen Standards (Testfairness, etc.) und nicht-psychometrischen Kriterien wie z.B. Akzeptanz seitens der Bewerber. Für die Integration von Online Tests müssen einige Anforderungen ernst genommen werden. Die Tests müssen selbsterklärend, Hardware-unabhängig und in Workflow-Systeme integrierbar sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Sicherheit vor Verfälschungen. Diese lassen sich regulieren, indem die Tests durch Item-Generatoren neu zusammengestellt werden.

Im 3. und letzten Teil verraten wir übrigens, welche Teilkompetenzen aus dem Kompetenzatlas als Grundlage zur Kompetenzmessung für HR Controller dienen sollen.

Herzliche Grüße
Claudia

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