„Hiermit bewerbe ich mich …“ Wenn du als Recruitingverantwortliche diesen Satz im Motivationsschreiben noch nie gelesen hast, melde dich bitte bei mir. Ich vermute eher, du hast ihn schon tausendfach gelesen – und bist selbst schuld. Ein Plädoyer für die Abschaffung des Motivationsschreibens. Eigentlich schon das dritte seit dem Jahr 2015, aber der Reihe nach.
Hinweis: Ein Teil dieses Blogbeitrages erschien zuerst als Artikel auf WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE in Zusammenarbeit und Vertretung der Recruiting Rebels.
Immer noch sehe ich in Jobinseraten die Aufforderung: „Bitte senden Sie Ihren Lebenslauf und ein aussagekräftiges Motivationsschreiben an …“. Und schon sind wir mittendrin im Dilemma:
Was ist denn ein aussagekräftiges Motivationsschreiben?
Und wofür brauche ich das? Hilft mir das tatsächlich, um im Recruiting eine gute Entscheidung treffen zu können? Spoileralarm: Nein, das tut es nicht!
Ursprünglich als Ergänzung zum Lebenslauf gedacht, war es die Intention, mit dem Motivationsschreiben aus der Masse der Bewerbungen herausstechen zu können. Außerdem hatten Jobsuchende so die Möglichkeit, detailliert auf bestimmte Aspekte in ihrem Lebenslauf einzugehen. Eigentlich also eine gute Sache.
Wenn wir noch im Jahr 2000 wären und im Recruiting alle Hände voll damit zu tun hätten, zwischen Hunderten von Bewerbungen die passende Kandidat:in für eine offene Stelle auszuwählen. 😉
Das ist aber längst nicht mehr der Fall. Heute sind die meisten froh, wenn sie überhaupt Bewerbungen bekommen.
Wer nach „Motivationsschreiben“ googelt (und das tut sicher jede oder jeder, die oder der als Bewerbender brav alle „Anforderungen“ erfüllen möchte), dem schlägt Google sofort etliche Seiten mit Mustern, Vorlagen, Tipps und Tricks für das ideale Motivationsschreiben vor.
Da heißt es dann zum Beispiel: Das Motivationsschreiben bildet den persönlichsten Teil deiner gesamten Bewerbung. In diesem Zusatztext kannst du deine im Lebenslauf aufgelisteten Kompetenzen noch einmal betonen und illustrieren. Und du kannst dein Interesse am Unternehmen mit deiner Persönlichkeit und deinen Alleinstellungsmerkmalen verknüpfen.
Doch damit tun sich viele schwer. Auch mir wird in meinem Freundes- und Bekanntenkreis daher immer wieder die Frage gestellt: „Was soll ich eigentlich in dieses Motivationsschreiben schreiben, kannst du mir da bitte helfen?“
Ganz ehrlich, das kann ich nicht. Weil ich ein Motivationsschreiben für völlig überflüssig halte. Damit ich das nicht jedes Mal beantworten muss, schick ich künftig einfach den Link zu diesem Blogartikel. 😉
Im klassischen Bewerbungstraining wird den Jobsuchenden gern erklärt wie’s geht: Tabellarischen Lebenslauf erstellen, Motivationsschreiben dazu und ab damit. Nicht vergessen beim Motivationsschreiben den Firmennamen auszutauschen, sonst wird’s peinlich (hab ich auch nicht erst ein oder zwei Mal gehabt, dass sich Leute total motiviert bewerben – halt nicht bei mir sondern im Konkurrenzunternehmen 😅).
Schon der erste Grund warum es besser ist, das Motivationsschreiben wegzulassen oder? So kann wenigsten kein blöder Fehler passieren und das war’s dann mit dem Job (soll ja Recruiter:innen geben die da ein bissl kleinlich sind).
Beweggründe für eine Bewerbung
Definition laut Duden: Motivation: Gesamtheit der Beweggründe, Einflüsse, die eine Entscheidung, Handlung o. Ä. beeinflussen, zu einer Handlungsweise anregen.
Also übersetzt auf eine Bewerbung wären das dann die Beweggründe oder Einflüsse, die dazu führen, dass man sich bewirbt.
Und sooo viele gibt’s da nicht, ich zähle mal ein paar auf:
Ich brauche einen Job
- weil ich gekündigt wurde.
- weil ich blöderweise gekündigt habe, ohne einen neuen Job zu haben.
- weil ich Berufseinsteiger:in bin.
- weil ich ein befristetes Dienstverhältnis habe.
- weil ich mich verliebt habe und jetzt lieber in derselben Stadt wie meine Partner:in leben will.
… und noch ein paar Abwandlungen davon.
Ich möchte einen neuen Job
- weil ich mit meiner jetzigen Chef:in nicht kann, sie eine blöde Zicke ist und ständig meine Arbeit als ihre ausgibt (habe aber im Bewerbungstraining gelernt, dass man das auf keinen Fall sagen darf, also besser auch im Motivationsschreiben nicht erwähnen).
- weil ich Stunden erhöhen oder reduzieren möchte und das aus irgendeinem Grund nicht möglich ist.
- weil ich endlich eine Führungsposition haben möchte.
- weil ich mehr Geld verdienen will/muss.
- weil ich nach 2/5/10 Jahren etwas anderes sehen will.
- weil ich im jetzigen Job keine Perspektive habe (auf mehr Geld, eine Führungsfunktion, spannendere Aufgaben …)
… und noch ein paar Abwandlungen davon
Ich brauche keinen neuen Job und ich möchte auch nicht unbedingt, aber …
- das Inserat war so spannend.
- ich wollte immer schon mal.
- ich weiss auch nicht, ich probier es mal.
Wenn du meinen Blog schon länger liest, dann weißt du Bescheid: Ich predige dauernd, dass sowohl Jobsuchende als auch Unternehmen authentisch sein müssen. Und jetzt verpacken wir mal die oben genannten Gründe in ein Motivationsschreiben!
„Hiermit bewerbe ich mich auf … bin gut geeignet weil … freue mich auf …“
Da steht niemals:
- Ich will endlich für meine Arbeit gelobt werden
- Ich möchte mindestens 500,– Euro im Monat mehr verdienen damit ich mir mehr Schuhe kaufen kann
- Ich habe halt „Recruiting“ und „Wien“ selektiert und da war diese Position eben dabei.
Und wer beurteilt denn, ob ein Motivationsschreiben besonders gut gelungen ist? Das ist ja wohl subjektiv, was ich gut finde, finden andere ätzend. Stichwort Zitat – hier der O-Ton eines Kunden: „wenn ich schon ein Zitat in den Unterlagen sehe leg ich die Bewerbung eh gleich weg“). Du findest so ein Zitat in den Bewerbungsunterlagen aber vielleicht besonders gut.
Die 3 Fragen im Recruiting
Im Recruiting gilt es für mich auf folgende 3 Fragen eine Antwort zu finden:
- Ist die Bewerber:in qualifiziert für den Job?
- Passt sie zu uns (ins Team, ins Unternehmen)?
- Matchen die Rahmenbedingungen, die sie sich vorstellt, mit unserem Angebot?
Und die Antworten darauf finden sich eher selten im Motivationsschreiben (jedenfalls nicht auf alle 3 Fragen)! Ich habe irgendwo gelesen, dass ein Motivationsschreiben besonders gut dafür geeignet ist, um die bisherige Tätigkeit zu beschreiben und eventuelle Lücken im Lebenslauf zu erklären.
Ich kläre die Motivation (und alles andere) lieber im Kennenlerngespräch ab. Mir darf man auch sagen, dass es halt mit drei Kindern einfacher wäre, einen Job in der Nähe zu haben und keine 50 Minuten Fahrt für eine Strecke aufzuwenden oder der Vorgesetzte cholerisch ist und ständig brüllt.
Ist doch alles legitim. Leider wollen die meisten Recruiter:innen auf die Frage „Warum haben Sie sich denn gerade bei uns beworben“, aber immer noch hören, wie toll man das Unternehmen findet oder warum man sich so mit dem Produkt oder der Dienstleistung identifiziert.
Und vermutlich sagen die wenigsten: „Weil ich das Inserat gefunden habe, ich einen Job brauche/möchte und Sie eine Mitarbeiter:in.“
Was soll es bringen, sich eine Begründung auszudenken, wenn man einfach nur einen Job braucht? Und was hilft es, wenn die Jobsuchende schreibt, dass sie das Unternehmen schon immer bewundert hat?
Was motiviert Recruiter:innen dazu, ein Motivationsschreiben zu verlangen?
Drehen wir den Spieß doch einmal um!
Bitte zutreffende Antwort (zumindest gedanklich) ankreuzen:
- Du möchtest überprüfen, ob die Bewerbenden in der Lage sind, eine Aufgabe zu erfüllen (Senden Sie Ihren Lebenslauf, aussagekräftiges Motivationsschreiben und Zeugnisse an …)
- Du kennst es nicht anders (Das haben wir immer schon so gemacht)
- Du erhoffst dir darin Informationen, die du im Lebenslauf nicht findest
- Du weiß es selbst nicht
- Du hättest gerne eine Arbeitsprobe.
Schauen wir uns die unterschiedlichen Möglichkeiten einmal an:
- Wenn das Motivationsschreiben selbst keinen Zweck erfüllt, sondern die Absicht dahinter nur die Überprüfung ist, ob die Bewerbenden die Anforderung „Genauigkeit“ erfüllen, wäre es sinnvoller über den Einsatz von entsprechenden eignungsdiagnostischen Verfahren im Recruitingprozess nachzudenken.
- Recruiting hat sich in den letzten Jahren definitiv verändert. Wir agieren nicht mehr in einem Arbeitgeber:innen-, sondern in einem Arbeitnehmer:innenmarkt. Also gilt: Möglichst alle unnötigen „Hürden“ im Bewerbungsprozess beiseite räumen.
- Welche Informationen hättest du denn gerne? Soweit ich weiß, können die meisten Menschen nicht hellsehen. Wer Informationen möchte, muss daher danach fragen. Das lässt sich in den meisten Bewerbungsmanagement-Systemen auch wunderbar einrichten. So können z.B. am Beginn des Online-Bewerbungsprozesses drei konkrete Fragen eingefügt werden. Ist kein System vorhanden, können diese schon im Jobinserat angeführt und um entsprechende Beantwortung gebeten werden.
- Ja wer soll es denn dann wissen?
- Ein Motivationsschreiben ist keine Arbeitsprobe. Die solltest du explizit verlangen, wenn es der Job erfordert.
Also hinterfrage, welchen Nutzen das Motivationsschreiben für dich wirklich hat. Keinen? Dann beharre auch nicht weiter drauf. Damit tust du dir selbst und den Jobsuchenden einen Gefallen und bekommst vermutlich sogar mehr Bewerbungen.
Motivationsschreiben abschaffen – damit Recruiting wieder einfach wird.
Und weil ich grade so schön in Fahrt bin: Ich gestehe, ich habe auch früher nicht alle Motivationsschreiben gelesen. Nur dann, wenn der Lebenslauf für die ausgeschriebene Position relevant war. Oder ich nicht ganz sicher war und gehofft habe, dass Unklarheiten im Motivationsschreiben erklärt werden. Was übrigens in 99 % aller Fälle nicht so war. Schade also um die Zeit fürs Motivationsschreiben schreiben.
Warum ein Motivationsschreiben nicht mehr zeitgemäß ist.
Und jetzt mein ultimativer Rat an alle Jobsuchenden (egal ob mit mir verwandt oder bekannt oder nix davon) – die Zeit lieber in einen gut durchdachten CV stecken. Wenn ich aus einem Lebenslauf nämlich nicht erkennen kann, welche Tätigkeiten gemacht wurden und wenn ich etwaigen Lücken nicht nachvollziehen kann, dann ist der für den Mistkübel. Und dann ist mir auch völlig egal was die Motivation für die Bewerbung war.
Abgesehen davon, dass Motivationsschreiben für einen Großteil der Bewerber:innen eine der schwierigsten Aufgaben ist, finde ich es schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäß. Warum? Auch dafür habe ich einige Gründe:
- Fachkräftemangel, War of talents oder wie immer man die Änderungen am Arbeitsmarkt nennt. Fakt ist, es gibt keinen Arbeitgeber:innenmarkt mehr, also habe ich im Recruiting auch nicht mehr die Qual der Wahl und muss aus hunderten Bewerbungen auswählen. Das Motivationsschreiben war früher eine gute Möglichkeit, sich von anderen Bewerber:innen zu unterscheiden, das ist heute meist nicht mehr notwendig. Und wurde früher auch nicht sehr oft genutzt.
- Mobile Recruiting: Da setzen wir auf neue Tools und Möglichkeiten, lernen, wie wir den gesamten Recruitingprozess über das Smartphone abwickeln und dann sollen Bewerber:innen ein Motivationsschreiben am Handy tippen?
- Wir setzen (hoffentlich) moderne Bewerbungsmanagementsysteme ein, die es potentiellen Mitarbeiter:innen leicht machen, sich zu bewerben. Keine Registrierung, ausfüllen unserer Datenbank mittels CV-Parsing über das XING oder LinkedIn Profil und dann steht dort „Motivationsschreiben“ hochladen?
- Dass von Kandidat:innen, die mittels Direktansprache „angeworben“ werden ein Motivationsschreiben verlangt wird, habe ich gottseidank noch nicht gehört, aber sicherheitshalber erwähne ich es hier mal. 😉
Sehen wir uns einmal die derzeit heiß umkämpften Berufsgruppen an: bei meinen Kunden geht es sehr oft um IT Positionen dicht gefolgt von Sales Funktionen. Abgesehen davon, dass sich wohl wenige Software Entwickler:innen auf ein Online-Inserat bewerben, fände ich es viel wichtiger, dass diese im Recruitingprozess mit fachlichem Know-How und natürlich der „kulturellen“ Passung überzeugen als mit einem Motivationsschreiben.
Sales Manager:innen sind bekanntlich kommunikativ aber das bedeutet auch, sie greifen vielleicht lieber zum Telefon, als ein Mail zu schicken. Dies ist eine Kompetenz, die im Job also sehr gefragt und von Vorteil ist, im Bewerbungsprozess wird sie aber zum Hindernis? Da hakts doch eindeutig!
Natürlich gibt es Berufsgruppen, die schreiben können müssen. Je nach Tätigkeit aber auch ganz unterschiedlich. Muss ich zielgruppengerechten Content liefern, mit Behörden korrespondieren oder vielleicht Stelleninserate formulieren? Das alles lässt sich auch auf andere Weise überprüfen, da gibt’s Arbeitsproben, Case Studys oder die guten alten Rechtschreibtests. Alles zielführender als ein (meist) belangloses Motivationsschreiben.
Für die meisten Berufsgruppen hat ein Motivationsschreiben einfach keine Relevanz für die Tätigkeit, um die es im Job geht. Warum also wird es immer noch als Selektionskriterium im Recruitingprozess angewendet? Das geht doch besser oder?
Henrik Zaborowksi. HR Blogger Kollege, ist überhaupt dafür, auch den Lebenslauf zu streichen. So weit würde ich jetzt (noch!) nicht gehen, aber dem Ansatz kann ich schon was abgewinnen (hab ja leicht reden)
Herzliche Grüße
Claudia
P.S. Möchtest du, einfach und ganz ohne ein Motivationsschreiben zu verlangen, die richtigen Mitarbeiter:innen finden? Dann werde Teil der Recruiting-Insider-Community, der erfolgreichsten Plattform für Recruitingverantwortliche in Österreich.