Mein Leben als Recruiterin

Wie ist das eigentlich, wenn man den ganzen Tag nur Gespräche führt und dann entscheidet, wer einen Job kriegt und wer nicht? Das klingt ja soooo interessant, das hab ich mir auch schon oft überlegt!

So und ähnlich sind die Reaktionen, wenn ich jemanden kennen lerne und unweigerlich kommt die Frage auf „und was machst du so?“. Oft gefolgt von einem „Aha was heißt das? Was genau machst du da?“. Und sobald ich es dann – je nach Situation in 1 oder 2 Sätzen oder auch mal ein kleines bisschen länger – erklärt habe, folgt dann zu 90 % die oben beschrieben Reaktion. Die restlichen 10 % sagen übrigens sowas in der Art: „Aha ja naja eh spannend.“ Macht nix, ich finde ja auch nicht jeden Beruf total interessant. Und für die anderen, die überlegen auch mal ins Recruiting ein- oder umzusteigen, kommt hier die ungeschönte Wahrheit – der Alltag im Recruiting und meine Antworten auf die am meisten gestellten Fragen bzw. Annahmen:

Ich möchte gerne im Recruiting arbeiten, weil ich so gerne mit Menschen zu tun habe!
Sehr schön! Mit Menschen zu tun haben auch Polizistinnen, Ärztinnen, Juristinnen, Angestellte bei der Post, beim Bäcker oder Servicemitarbeiterinnen in Hotels und Restaurants, Verkäuferinnen, Lehrerinnen … sogar Softwareentwicklerinnen (um hier nur einige wenige aufzuzählen). Klar worauf ich hinaus will? In fast jedem Job hat man es mit Menschen zu tun, das ist also vielleicht nicht unbedingt die Top Antwort im Recruitinggespräch (mit mir zum Beispiel, wenn ich Sie frage warum Sie denn … Sie wissen Bescheid).

Ich bin nicht so der Zahlenmensch
Schon mal was von Personalbudgets, Gehaltseinstufungen und Kennzahlen gehört? Aus meiner Sicht ist betriebswirtschaftliches Know-how im Recruiting unerlässlich. Ihre Führungskräfte berechnen Headcounts und FTEs selbst? Gratulation, dann müssen Sie nur noch in der Lage sein, dass nachzuvollziehen und gegebenenfalls zu controllen. Wenn Sie außerdem einer Bewerberin den Unterschied zwischen netto und brutto erklären und vielleicht sogar auszurechnen können, kann nix mehr schiefgehen. Ach so, Ihre Geschäftsführung möchte gerne Kennzahlen. Wieviele Bewerbungen wir bekommen haben lässt sich schnell nachvollziehen, man kann ja auch mal schauen, wie viele Positionen besetzt wurden. Wieviel kostet uns denn eine Besetzung? Jetzt wird’s schon ein wenig spannender. Oder vielleicht mal die „cost of vacancy“ berechnet? Und schon mal erklärt, warum es Kennzahlen gibt, die – jedenfalls aus meiner Sicht – völlig unnötig sind – dafür aber im Gegenzug Vorschläge für andere eingebracht? Wie es dann mit entsprechenden Maßnahmen aussieht ist natürlich schon wieder ein völliges anderes Thema …

Ich stell mir das total schön vor, man führt Gespräche und dann gibt man einer Person eine Zusage für einen neuen Job!
Genau, EINE Person kriegt die Zusage. Je nach ausgeschriebener Funktion kriegen aber 2 – 299 andere eine Absage. Und in der Regel machen die Zusagen Führungskräfte auch sehr gerne selbst. Ist ja was Schönes ;-). Und die Recruiterin übernimmt die Absagen. Enttäuscht also wesentlich mehr Leute als sie glücklich macht. Und zwar jedes Mal. Versucht im Telefonat cool zu bleiben, auch wenn die Bewerberinnen zutiefst enttäuscht, ärgerlich, ungehalten und zuweilen auch ziemlich „schräg“ reagieren. Ich habe von Beschimpfungen, Drohungen und Weinkrämpfen schon so ziemlich alles erlebt. Aber ich arbeite halt gern mit Menschen 😉

Administration liegt mir nicht so

Jetzt müssen alle, die wirklich gerne ins Recruiting wollen, ganz stark sein: der Löwenanteil dieses Jobs liegt in administrativen Tätigkeiten. Das beginnt schon beim Freigabeprozess, geht über in die Beauftragung und Überprüfung von Inseratsschaltungen,  das gesamte Bewerbungsmanagement (je nachdem ob und mit welchem System man arbeitet, mal einfacher mal komplizierter), die Terminkoordination, nicht nur mit Bewerberinnen sondern zumeist auch noch mit Führungskräften und evtl. Teamkolleginnen, die Aufbereitung von Unterlagen für den Einstellungsprozess, je nachdem wie die Position ausgestaltet ist auch noch die Erstellung des Dienstvertrages, die Information an alle relevanten Personen und Abteilungen und und und … Natürlich führt und moderiert man auch viele Gespräche, aber Admin, Koordination und Organisation gehören im Recruiting dazu.

Verkaufen mag ich gar nicht

Dann kommt hier mein Rat: auf keinen Fall im Recruiting tätig sein. Da verkauft man nämlich permanent: das Unternehmen für das man sucht an die Kandidatin, die Kandidatin an die Führungskraft, möglicherweise auch umgekehrt, die Position an die Kandidatin … man nennt es nur nicht so. Wirkt vermutlich sonst zu abschreckend.

Und woher weißt du, ob die Kandidatin wirklich eine gute Software-Entwicklerin / Projektleiterin / Technikerin … ist?

Das finde ich ist eine wirklich berechtige Frage! Und möchte gleich eines klarstellen: mein Job ist es nicht, zu beurteilen ob die Kandidatin wirklich die beste Software-Entwicklerin / Projektleiterin / Technikerin … ist. Das ist aus meiner Sicht Job der Führungskraft oder einer Fachexpertin. [bctt tweet=“Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass die Kandidatinnen überhaupt einmal wissen, dass es da eine entsprechende Stelle gibt.“ username=“lorber_claudia“] Das rechtliche Vorgaben im Recruiting eingehalten werden. Das alle beteiligten Personen zeitgerecht alle relevante Informationen haben. Das Führungskräfte diesen Anteil ihres Jobs gut erledigen können. Das es einen Prozess gibt, der beiden Seiten Entscheidungen ermöglicht.

Also ehrlich, dafür wirst du bezahlst? Cool, schaust dir ein paar Lebensläufe an und stellst dann irgendwelche Fragen … 

Ja so ist es! Ich sitze in meinem Büro, krieg wie von Zauberhand Lebensläufe auf meinen Tisch, schau sie an (oder auch nicht, wer weiss?), bau lustige Stapel damit, lade 2 oder 3 zum Gespräch ein, stelle „irgendwelche“ Fragen und schon ist die Position besetzt. Total cool! Für alle, die den ironischen Unterton jetzt nicht zwischen den Zeilen gelesen haben -> zurück an den Start!
Und trotzdem – ich mag meinen Job! Wie überall gibt es auch im Recruiting Dinge, die nicht besonders aufregen sind, aber trotzdem erledigt gehören. Unangenehme Situationen, Gespräche und auch Leute. Aber auch sehr viele schöne und angenehme Momente und tolle Persönlichkeiten!

Wie sehen das meine Kolleginnen im Recruiting, was gibt es noch für Annahmen über unseren Job?


Herzliche Grüße

Claudia