Die Recruitingszene in Österreich ist um einen Award reicher. Haben Recruiterinnen überhaupt noch genug Zeit für ihren eigentlichen Job? Ist die Teilnahme an diversen Awards notwendig und sinnvoll? Und bringen diese Recruiting-Auszeichnungen dann tatsächlich etwas im Kampf um die besten Bewerberinnen?
Gestern erreichte mich die Nachricht, dass es auch in Österreich wieder einen neuen Award für Recruiting gibt nämlich den „Candidate Experience Award“. Der Award kommt über Talent Board, eine NPO aus den USA, über das ICR in die DACH Region. Auf Anhieb fallen mir da die bereits etablierten Auszeichnungen wie „best recruiters“ und auch die Möglichkeit zur Bewertung des Bewerbungsprozesses auf kununu ein. Von den diversen weiteren Awards, Zertifikaten und Audits hinsichtlich „beste Arbeitgeber“ möchte ich gar nicht erst anfangen.
Mein erster Gedanke war „braucht es wirklich noch einen Award zum Thema Recruiting“? Und mein zweiter „Haben Recruiterinnen denn Zeit, sich all diesen Awards zu widmen?“
Ich hatte gestern ein Gespräch mit dem Recruitingleiter eines großen österreichischen Unternehmens. Im Recruiting Team sind aktuell pro Person mindesten 20 offene Stellen zu betreuen. Einzelne Stellen bringen hunderte Bewerbungen, andere tendieren gegen 0 – wir kennen das. Begriffe wie „Active Recruiting“ entlocken ihnen daher nicht einmal ein müdes Lächeln. Keine Zeit! Raus mit dem Inserat und weiter geht’s. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Recruiterinnen voller Begeisterung an einem Award teilnehmen. Auch wenn die Teilnahme am Candidate Experience Award kostenfrei ist, der Faktor Zeit spielt gerade im Recruiting eine wesentlich Rolle (und Zeit ist ja bekanntlich auch Geld … ok das war jetzt sehr vorhersehbar aber es passt einfach so gut).
Führungskräfte brauchen neue Mitarbeiterinnen (am besten gestern bitte!), Bewerberinnen erwarten eine schnellstmögliche Reaktion, gut vorbereitet Interviews, ausführliche Feedbackgespräche und und und. Recruiterinnen sollen also Führungskräfte gut beraten, Bewerberinnen bei Laune halten, vor allem zeitnah reagieren, die entsprechenden Systeme pflegen, Mitarbeiterinnen, die einen Veränderungswunsch haben betreuen und sich – quasi im Vorbeigehen – noch um Themen wie Talent oder Candidate Pipeline, Active Sourcing und Social Media Recruiting kümmern. Da kommt die Teilnahme an den diversen Awards sicher gerade recht. Was sollte man denn sonst mit der vielen Zeit anfangen …
Natürlich können die Initiativen, die mit den Awards verbunden sind durchaus nützlich sein. Wenn z.B. das Aufsetzen einer Recruitingstrategie oder die Optimierung des Recruitingprozesses (im besten Fall nämlich für Bewerberinnen UND die beteiligten Mitarbeiterinnen) geplant ist, dann können die Ergebnisse der durchgeführten Befragungen gut als Ausgangsbasis und Handlungsempfehlungen herangezogen werden. Vielleicht hilft es auch, einen (ziemlich sicher) notwendigen zusätzlichen Headcount bewilligt zu bekommen, damit es auch möglich ist, die entsprechenden Maßnahmen zu planen und vor allem umzusetzen.
Womit ich mir bei diesen Awards jedoch wirklich schwer tue sind zwei Dinge:
Warum ist es notwendig, sich ständig mit anderen zu vergleichen? Wäre es nicht sinnvoller, sich ganz auf das eigene Unternehmen zu konzentrieren und herauszufinden, was die besten, soll heißen wirkungsvollsten, Strategien sind um die am besten passenden Mitarbeiterinnen zu finden und zu halten?
Helfen die Auszeichnungen in der Realität dabei, die am besten geeigneten Kandidatinnen zu finden? Ich meine, dass den Jobsuchenden die Awards völlig egal sind. Die wollen wissen, was sie erwartet und nicht das im letzten Jahr besonders viele Punkte in diversen Kategorien erzielt worden sind. Ich konnte keine Studie finden, die bestätigt, dass die Abbildung von Gütesiegeln in den Inseraten oder auf der Karrierewebsite tatsächlich besser qualifizierte und zum Unternehmen passende Bewerberinnen bringt.
Vielleicht wurde in dem einen oder anderen Fall die Anzahl der Bewerbungen erhöht, aber ich darf hier eine meiner Kundinnen zitieren „ich brauche nur 1 Bewerbung – wenn es die richtige ist“! Besser könnt ich’s auch nicht sagen!
Herzliche Grüße