„Recruiting gehört ja zu den schönen Aufgaben im HR“ höre ich oft. Ja finde ich auch. Sicher besser als Personalabbau. Dennoch gibt es im Recruiting auch einige unangenehme Tätigkeiten. Absagen zum Beispiel.
Und zwar nicht direkt nach der Vorselektion sondern nach einem oder mehreren persönlichen Treffen. Vor allem dann, wenn die Gespräche eigentlich sehr gut verlaufen sind. Wenn die Recruitingabteilung alles richtig gemacht und eine tolle Kandidatin gefunden hat. Die Gespräche positiv verlaufen sind und man innerlich bereits jubelt. Position filled. Aber halt. Die letzte und alles entscheidende Runde verläuft leider völlig anders als erwartet. Die letzte Instanz, Geschäftsführung vielleicht sagt: NO. Nehmen wir nicht. Mag ich nicht. Hab ich mir anders vorgestellt. Eine höchst unangenehme Situation. Und jemanden „nein“ sagen zu müssen ist im Recruitingalltag wesentlich öfter der Fall als „ja“ sagen zu können.
Völlig egal wer die Letztentscheidung trifft, üblicherweise liegt es an den Recruitingverantwortlichen, die schlechte Nachricht zu übermitteln. Dieses Thema wird übrigens in jedem meiner Seminare, Recruitingcoachings oder Workshop zu Recruitingprozessen angesprochen. Wie sage ich am besten ab? Ein heikles Thema für Führungskräfte und HR.
Stellen wir uns einmal folgende Situation vor: eine wirklich schwierig zu besetzende Position. Es taucht eine tolle Bewerbung auf (die taucht natürlich nicht einfach auf, Recruiting hat einen super Job gemacht). Es kommt zum ersten Kontakt und die Angst, dass es wohl mit den Rahmenbedingungen nicht passt, sprich die Gehaltswünsche der Kandidatin zu hoch sind, erweisen sich als unbegründet. Es kommt zum ersten Treffen und die Recruiterin weiß, das ist die richtige Person. Ein nächstes Treffen wird so schnell wie möglich eingefädelt und die Führungskraft kommt mit einem breiten Grinsen aus dem Gespräch. Passt super, fachlich und auch der Teamfit ist gegeben. Die frohe Botschaft wird natürlich sehr gerne und daher auch sehr schnell überbracht. Der Anruf landet leider auf der Mobilbox. Ein wenig enttäuscht, aber immer noch euphorisch, wird eine Nachricht mit der Bitte um Rückruf hinterlassen. Und dann wartet man. Beginnt vielleicht schon mal einen Dienstvertrag aufzusetzen. Rückruf erfolgt nicht. Der Arbeitstag geht zu Ende, das Hochgefühl verfliegt langsam, aber morgen ist ja auch noch ein Tag.
Am nächsten Tag im Büro angekommen, wird die Mobilbox abgehört und folgende Nachricht ist zu hören: „Danke, aber ich habe mich anders entschieden“. Aus der Traum. Frustration, Ärger, Enttäuschung und dann die Erkenntnis: ich muss es jetzt nicht nur der Führungskraft schonend beibringen, ich muss jetzt wieder von vorne beginnen. Einen Versuch kann man ja noch wagen und einfach einmal anrufen, um nach dem Grund zu fragen. Kandidatin hebt nicht ab (eh klar), also bittet man wieder um Rückruf. Der nie erfolgt.
Wer kennt die Situation? Ich habe das so (oder sehr ähnlich) schon erlebt. Und genau daran erinnere ich mich, wenn ich Bewerberinnen absagen muss.
Ich kenne Recruiterinnen, die diese unangenehme Aufgabe möglichst lange hinauszögern. Ich höre von Kandidatinnen, wie schlecht die Absagen oft rüber gebracht werden. Ich höre immer noch davon, dass sich auch nach mehreren Gesprächsrunden die Recruiterinnen einfach nicht mehr melden. Warum tun sie das? Wenn ich mit Bewerberinnen mitten im Prozess bin und die verschwinden einfach, melden sich nicht mehr, reagieren nicht auf Anrufe oder Mails, was denke ich mir dann? Das war’s , du kriegst da keinen Fuß mehr in die Tür. Natürlich können auf beiden Seiten Dinge geschehen, die den Recruitingprozess eben zweitranging machen. Dass das Leben mit einem Schicksalsschlag aufwartet. Das weiß jedoch die jeweils andere Seite nicht, daher ist es Pflicht im Recruiting, egal unter welchen Umständen, möglichst zeitnahe abzusagen. Oder eine Rückmeldung zu geben, dass es noch dauert.
Wenn ich sage, ich melde mich in 2 Tagen, dann melde ich mich in 2 Tagen. Da gibt es keine Ausnahmen. Und auch wenn ich „nur“ Bescheid gebe, dass ich noch keine Rückmeldung habe.
Ist es ok, per Mail abzusagen?
Nicht, wenn ich die Kandidatin schon per Telefon oder persönlich kennen gelernt haben.
Reicht es, wenn ich auf die Mobilbox spreche?
Klar. Wenn es auch ok ist, dass die Bewerberin einfach ein „nein danke“ auf meiner Mobilbox zurück lässt. Und auch dann ok, wenn ich es bereits mehrfach versucht habe, aber ich die Person einfach nicht erreichen kann. Dann sage ich das aber dazu, so in etwa: „es tut mir sehr leid, dass ich Sie nicht direkt sprechen kann. Ich habe es schon mehrfach versucht, aber wir erreichen uns nicht und ich möchte Sie jetzt einfach nicht noch länger warten lassen.“
Wie formuliere ich denn einen heiklen Grund?
Welchen denn? Gibt es Anzeichen von Alkoholismus? Ist die Person der Führungskraft einfach nicht sympathisch? Sind im Netz Nacktfotos aufgetaucht? Schwierig hier, eine one fits all Antwort zu geben. Aber so lange ich keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen bedenken muss, bin ich für die Wahrheit. Die meisten Kandidatinnen vertragen das schon und sind auch froh über ehrliches und ernst gemeintes Feedback.
Ich habe mir auch angewöhnt, die Kandidatinnen zu fragen, wie sie denn das Gespräch einschätzen. Oft bringen sie einen Punkt, wo sie meinen, das hat nicht so gut gepasst. Dann kann ich hier einhaken.
Und wenn es wirklich gar nicht anders geht, dann gibt es ja immer noch den Klassiker „es liegt nicht an dir“. Jemand anderer war einfach noch eine Spur näher dran am Profil. Aber Achtung: das geht nur, wenn die Position wirklich schon besetzt ist und nicht, wenn das Inserat dann noch wochenlang überall zu finden ist. Bewerberinnen durchschauen das 😉 und auch der Absageprozess zählt zur Candidate Experience. Aber das wissen Sie ja längst!
Wie man sich als Recruitingverantwortliche mental darauf einstellt, Bewerberinnen wertschätzend abzusagen, erfahren Sie im nächste Woche. Und dann gibt es wirklich keinen Grund mehr, die Absagen hinauszuzögern!
Herzliche Grüße
Claudia
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