Ich bin keine Schokoladeliebhaberin, ich mag kein Nougat, kein Trüffel, nicht unbedingt Milchschokolade und auf gar keinen Fall weiße Schokolade. Aber ich mag Marzipan und Karamell. Wenn ich Pralinen geschenkt bekomme, schaue ich daher als erstes nach, ob es eine Beschreibung der einzelnen süßen Teilchen gibt. Leider gibt es das nicht immer und was ich wirklich nicht mag, ist mich „durchzukosten“. Ich will nur die Pralinen essen, die mir wirklich schmecken, keine Überraschungen (und das Forrest Gump Zitat lasse ich jetzt einfach aus)!
Keine Sorge, recruitingpraxis mutiert jetzt nicht zum Foodblog (ich hätte da aber einige Empfehlungen 😉 ich wollte nur verdeutlichen, dass
- Geschmäcker eben verschieden sind (Gottseidank)
- Überraschungen sehr oft etwas Schönes, manchmal aber völlig fehl am Platz sind!
Beim Bewerbungsprozess nämlich.
Vor kurzem wurde ich von einer Recruiting Einsteigerin gefragt, wie denn eigentlich meine persönlichen Erfahrungen als Bewerberin waren. Und da habe ich mich daran erinnert, wie mein allererstes „Bewerbungsgespräch“ gelaufen ist. Und das es dazu geführt hat, dass ich heute nicht in einer Bank arbeite. Dass ich mich gegen einen Job in diesem Unternehmen entschieden habe, obwohl ich eine Zusage erhalten habe.
Ich habe schon einmal darüber berichtet, wie die Situation damals war. Aber noch nicht, wie es konkret abgelaufen ist. Und das ich heute sagen würde, das war ein Stressinterview. Ob gewollt oder nicht weiß ich nicht. Ich neige eher zu der Annahme, dass das wohl Absicht war, auch wenn ich noch immer nicht erkennen kann, wozu es gut gewesen sein soll. Aber der Reihe nach. „Geh zur Bank, das ist ein sicherer Job“ also der Ratschlag aus der Familie. Gut ich habe brav eine Bewerbung abgeschickt (per Post bitte ist ja schon ein paar Jahre her 😉 und habe tatsächlich eine Rückmeldung erhalten, wo drin statt: „Bezugnehmend auf Ihre Bewerbung vom XX teilen wir Ihnen mit, dass Sie am XX um XX zu uns kommen sollen.“ Da wurde nicht groß gefragt, ob das auch möglich ist und ich hätte mich schlicht und einfach nicht getraut zu sagen „ähem da bin ich im Unterricht kann ich bitte auch am Nachmittag kommen“. Also gut ich mache mich schick (ich habe sicher einen blauen Rock und eine weiße Bluse angehabt), und fahre, doch etwas nervös, zum ersten Vorstellungsgespräch meines Lebens.
Überraschung Nummer 1:
Ich bin nicht alleine da. Mit mir warten noch ca. 10 andere Mädels und Jungs, alle genau so nervös wie ich. Nach einiger Zeit des Wartens kommt jemand, liest von einer Liste immer einen Namen nach dem anderen vor und sagt eine Zimmernummer. So ein wenig wie beim Röntgen „Frau Maier bitte in Kabine 3“.
Überraschung Nummer 2:
Es werden alle Namen aufgerufen, nur meiner ist nicht dabei. Die Dame, die die Namen vorgelesen hat dreht sich um und verschwindet in einem Zimmer. Ich stehe alleine am Gang und überlege, was ich machen soll. Ich hatte kein Handy (das gab es nämlich noch nicht). Also schnell irgendwo anrufen und um Rat fragen ist nicht. Ich wandere ratlos den Gang entlang und bin mit der Situation einfach überfordert. Nach 15 oder 20 Minuten nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und klopfe an der Tür, wo ich die Dame mit der Liste vermute.
Überraschung Nummer 3:
Auf meine Nachfrage, ob es sich vielleicht um ein Missverständnis handelt meint sie: „nein das passt schon so. Die anderen sind bei einer Gruppendiskussion, Sie werden ein wenig später abgeholt. Warten Sie einfach.“ Also warte ich. Insgesamt 30 oder 40 Minuten. Dann erscheint sie wieder und geht mit mir zu einem anderen Zimmer und meint ich soll da warten. Ich warte wieder. Nach 10 bis 15 Minuten erscheint ein honoriger Mann, stellt sich mit allen Titeln vor und steigt in etwa mit den Worten „sie sind ja nicht aus der HAK was wollen sie in der Bank“ in unser „Gespräch“ ein. In dieser Art geht es weiter, das „Verhör“ dauert ca. 20 Minuten und währenddessen sieht er unentwegt auf seine Uhr. Ich beginne daran zu zweifeln, dass ich bei dieser Bank arbeiten möchte. Ob ich es kann weiß ich nicht, ich erfahre nämlich absolut nichts über die Tätigkeit. Nach diesem Gespräch darf ich – richtig – wieder einmal warten.
Überraschung Nummer 4:
Irgendwann werde ich wieder abgeholt und in einen Raum gebracht, wo wieder mehrere Mädels und Jungs sind. Überraschung! Auch eine Klassenkollegin von mir ist dabei. Nach einer Diskussionsrunde gibt es nochmal Einzelgespräche (die ähnlich dem ersten sind nur ohne permanent auf die Uhr sehen) und dann ist es endlich vorbei. Meine Eltern haben sich währenddessen langsam Sorgen gemacht, konnte ja keiner ahnen, dass ein „Gespräch“ den ganzen Vormittag dauern wird.
Aufgrund der vielen irritierenden Situationen war ich im Anschluss völlig sicher: „das wird nichts“. Kurz vor der Matura hatte ich dann sowieso andere Sorgen. (Ich habe übrigens bei der mündlichen Matura Fragen zum Arbeitsrecht bekommen, anscheinend hat meine Lehrerin schon gewusst, in welche Richtung es einmal gehen wird 😉
Überraschung Nummer 5:
Ein paar Tage später habe ich, wieder per Post, eine Zusage bekommen. Höchste Irritation meinerseits. Aufgrund der Tatsache, dass ich mich ohne jegliche Information permanent unwohl gefühlt habe, habe ich abgesagt und bei einem anderen Unternehmen zugesagt.
Warum ich dieses Beispiel hier vorstelle? Damit vor allem Anfängerinnen (aber gerne auch alte Hasen 😉 im Recruiting daran gerade im Umgang mit Schülerinnen und Studentinnen denken. Alles was für uns selbstverständlich ist, ist für diese Zielgruppe neu. Und auch wenn ich sicher bin, dass die Jugend heute zu einem großen Teil selbstbewusster ist und sich mit Hilfe von Smartphones, Internet und Bewerbungstrainings, die schon in der Schule durchgeführt werden (was ich davon halte wäre wohl einen eigenen Blogbeitrag wert 😉 im Vorfeld wesentlich besser informieren können, so sind sie eben trotzdem Anfängerinnen. Und nach meiner Absage hat wohl irgendeine Personalverantwortliche in der Bank mit den Schultern gezuckt und gemeint, dann nehmen wir halt die nächste auf der Liste. So lange Listen haben wir im Recruiting heute aber nicht mehr unbedingt. Wer kann es sich leisten, dass die passenden Bewerberinnen aufgrund von Irritationen im Bewerbungsprozess absagen?
Fazit: wenn ich Recruiterinnen berate und begleite, die den Recruitingprozess neu aufsetzen z.B. anlässlich der Implementierung einer Recruiting Software, dann empfehle ich immer, den angedachten Prozess auch an die Bewerberinnen zu kommunizieren.
Überraschungen funktionieren nämlich möglicherweise wenn es sich um Geburtstage handelt, im Recruiting sind sie eher hinderlich.
Und jetzt lassen wir uns mal eine Praline schmecken oder?
Herzliche Grüße
Claudia
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